Krieg in der Ukraine: „Unsere Arbeit gibt uns die Kraft, weiterzumachen.“

Seit zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Das Leben der Ukrainer*innen hat sich seitdem grundlegend verändert. Nichts ist sicher, alles kann jeden Tag anders sein. Und gleichzeitig ist der Krieg zur Routine geworden. Natalia Karbowska, Co-Geschäftsführerin vom Ukrainian Women’s Fund, berichtet bei einem Gespräch via Zoom, das wir im Januar 2024 mit ihr geführt haben, von ihrer Arbeit in einem Land, für das sie sich Frieden, Demokratie und eine starke feministische Bewegung wünscht.

Frauenorganisationen müssen gestärkt werden

In der Ukraine ist der Krieg zum Alltag geworden. Hundertausende Menschen sind geflohen. Viele haben das Land verlassen. Viele sind vom Osten in den Westen der Ukraine gezogen. Inzwischen sind die internationalen Hilfsorganisationen in der Ukraine gut verankert. Sie unterstützen vor allem die Menschen in den besonders vom Krieg betroffenen Regionen. Zur Verteilung von Hilfsgütern und medizinischer Versorgung gehen sie häufig Partnerschaften mit lokalen Frauenorganisationen ein. „Das ist einerseits gut, denn es stärkt die Frauenorganisationen vor Ort. Auf der anderen Seite hat es aber auch negative Aspekte. Die Frauenorganisationen sind so mit der Nothilfe beschäftigt, dass sie keine Kapazitäten mehr haben, um politische Arbeit zu machen“, erzählt Natalia Karbowska.

Der Ukrainian Women’s Fund (UWF) unterstützt Frauenorgansiationen aktuell vor allem dabei, sich politisch zu engagieren, Wissen aufzubauen und weiterzugeben. „Advocacy und Capacity Building sind die Bereiche, in denen wir Organisationen stärken. Denn wir brauchen die feministische Bewegung für den Wiederaufbau unseres Landes“, so Natalia Karbowska. „Außerdem achten wir auf die Resilienz unserer Förderpartner*innen. 10 Prozent der Förderung muss für Selfcare genutzt werden. Dieser Betrag kann in Personal investiert werden, in gemeinsame Ausflüge und in alles, was der Organisation guttut. Hauptsache es dient der Stärkung der Organisation. Strukturell und auf individueller Ebene. Wir akzeptieren keine Anträge und Abrechnungen mehr, die diese 10 Prozent nicht nutzen“. Denn der tägliche Kampf für eine gerechte Gesellschaft zehrt die Gruppen aus. Der UFW hat deshalb eine „Academy of Women’s Health“ ins Leben gerufen. Oft seien Frauenrechtsaktivist*innen zu müde, um sich um ihre eigene Gesundheit zu kümmern. Die Academy bietet beispielsweise regelmäßig medizinische Check-Ups an.

Feministische Mitsprache beim Wiederaufbau der Ukraine

Wie geht es weiter? Die internationalen Gespräche zur Zukunft der Ukraine nach dem Krieg sind bereits im Gange. Auf „Ukraine Recovery Conferences“ treffen sich EU-Politiker*innen, Entscheidungsträger*innen und Nichtregierungsorganisationen, um über den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Ende des Krieges zu sprechen. Dass Frauenrechtsorganisationen auf diesen Konferenzen eine wichtige Stimme erhalten, fordert Natalia Karbowska seit langem. „Wir werden zu den Konferenzen eingeladen, aber wir sprechen meist nicht mit den hochrangigen EU-Vertreter*innen“. Bei einer digitalen Recovery Conference der ukrainischen Regierung im letzten Jahr sei nicht einmal das Mikrofon der Vertreter*innen der Zivilgesellschaft anschaltbar gewesen. Die Stimmen der Frauenrechtsorganisationen blieben ungehört. Dass müsse sich dringend ändern, fordert Natalia Karbowska. Dafür bräuchte es internationale Unterstützung.

Facebook Post des Ukrainian Women’s Fund

Auch auf nationaler Ebene sei es wichtig, Frauen in die Wiederaufbaupläne einzubeziehen. „Aktuell haben viele Frauen Entscheidungspositionen übernommen. Denn die Männer sind im Krieg und die Frauen übernehmen ihren Job, im Privaten, aber auch beruflich. Wir möchten, dass diese Frauen in Entscheidungspositionen bleiben, auch wenn die Männer zurückkommen.“ Was auch in den Blick genommen werden müsse, sei die Traumatisierung der zurückkehrenden Soldaten. Sie sind ohne jegliche psychologische Vorbereitung in den Krieg gestürzt und kehren oft schwer belastet heim. „Sie sind traumatisiert und fangen an, ihre Familien zu schlagen. Darüber wird wenig gesprochen, lieber werden sie als Helden gefeiert“.

Nur wenn die feministische Bewegung in die Recovery Gespräche einbezogen wird, kann die Ukraine nachhaltig und gerecht wiederaufgebaut werden. „Wir müssen mit am Tisch sitzen!“, fordert Natalia Karbowska. Bis dahin versucht der UWF die feministische Bewegung im Land so gut wie möglich zusammen zu halten. „Wir versuchen, uns so oft wie möglich zu treffen. Offline, als echte Begegnung. Unsere Arbeit gibt uns die Kraft, weiter zu machen.“

Ein kurzer Rückblick

Als Russland die Ukraine im Februar 2022 überfiel, war von heute auf morgen nichts mehr sicher. Es war nicht klar, wie lange die Infrastruktur, besonders im Osten des Landes, aufrecht erhalten bleibt. Oder wie lange z.B. das Bankensystem noch funktionieren würde. Der Ukrainian Women’s Fund gehörte zu den ersten Organisationen, die vor Ort unterstützen konnten. Internationale Hilfsorganisationen waren bis dahin nicht in der Ukraine stationiert. Um zu vermeiden, dass im Fall des Zusammenbruchs des Bankensystems kein Geld eingefroren auf dem Konto liegt, hat der UWF sofort nach dem kriegerischen Überfall alle Reserven für unmittelbare Nothilfe auszugeben. Hinzu kamen schnelle Förderungen durch Frauenstiftungen weltweit, auch durch filia. Inzwischen sind die Reserven wieder aufgefüllt.

Das Titelfoto ist beim Netzwerktreffen europäischer und lateinamerikanischer Frauenstiftungskolleg*innen im Mai 2023 entstanden, bei dem auch der Ukrainian Women’s Fund vertreten war.