Zur Lage in Bergkarabach und Armenien

Die Menschen in Bergkarabach, insbesondere Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen, stehen vor unvorstellbaren Herausforderungen und Nöten. Familien wurden auseinandergerissen, Häuser zerstört und Leben zerrüttet. Der Zustrom von Menschen aus Berg-Karabach nach Armenien hat bereits begonnen.
Women’s Fund Armenia

Bei militärischen Angriffen Aserbaidschans auf die Region Bergkarabach am 19. September 2023 sind innerhalb von zwei Tagen mehr als 200 Menschen getötet und 400 verletzt worden. Ein Großteil der Bevölkerung Bergkarabachs flüchtete Richtung Armenien. Denn trotz Waffenstillstand griffen aserbaidschanische Truppen Meldungen zufolge weiterhin Dörfer in der Region an. Armenier*innen fürchteten weitere Gewalt, Vertreibung und Genozid.

Nachdem Aserbaidschan am 24. September den Lachin-Korridor erstmalig für die Ausreise von einigen hundert Menschen geöffnet hatte, waren einen Tag später bereits mehr als 5.000 Menschen aus Bergkarabach nach Armenien geflohen. Armeniens Regierung hatte zuvor bereits zugesagt, mindestens 40.000 Menschen aus Berg-Karabach aufzunehmen. Inzwischen sind mehr als 80.000 Menschen aus Bergkarabach nach Armenien geflohen (Stand 30.09.2023). Viele von ihnen sind durch die monatelange Blockade und mangelnde Versorgung geschwächt, mangelernährt und traumatisiert. „Die ohnehin schon gefährdete Bevölkerung dieser Region ist jetzt dringend auf unsere Hilfe angewiesen. Ganz zu schweigen davon, dass die Organisationen und die Bevölkerung in den Grenzregionen, die die Vertriebenen aufnehmen werden, ebenfalls gefährdet sind und unsere Unterstützung benötigen“, so der Women’s Fund Armenia.

Call to Action der armenischen Frauenstiftung

Die armenische Frauenstiftung hat nach Rücksprache mit ihren Partner*innen in der Region einen Call to Action und eine Spendenkampagne aufgesetzt. Sie soll Frauen, die aus Bergkarabach geflohen sind, bestmöglich unterstützen. In einem ersten Schritt wurden 10.000 „dignity kits“ mit Hygieneartikeln und Unterwäsche an geflohene Frauen verteilt. Parallel plant die armenische Frauenstiftung psychologische Beratung für Aktivist*innen, um so diejenigen direkt zu unterstützen, die mit Vertriebenen zusammenarbeiten. Die psychische Gesundheit insbesondere der Helfer*innen ist zentral für die Stabilität der Unterstützungsstruktur.

Nicht nur die humanitäre Situation in Bergkarabach ist erschreckend. Auch die politische Situation in Armenien ist beunruhigend. Seit der Kapitulation Bergkarabachs gegen Aserbaidschan gibt es in Armeniens Hauptstadt große Proteste, bei denen der Rücktritt von Armeniens Ministerpräsident Paschinjan gefordert wird. Die Proteste sind keineswegs gestützt von demokratischen Kräften, sondern vielmehr von fundamentalistischen und Russland-nahen Gruppen. Sie bedeuten für die ohnehin fragile Demokratie im Land eine immense Herausforderung.

Nachrichtenmagazine wie Open Caucasus Media und EVN Report berichten ausführlich über die Situation in Bergkarabach. In der vergangenen Woche hat zudem die armenische Frauenstiftung die aktuelle Lage zusammengefasst, die nach mehreren Monaten Blockade bereits dramatisch war.

Wie können wir helfen?

filia konnte unmittelbar noch im September – auch Dank der Unterstützung unserer Community – zwei Organisationen in Armenien eine Eilförderung zukommen lassen: dem Women’s Fund Armenia und dem Women’s Center Shushi. Mit den Mitteln hat der Women’s Fund Armenia folgende Partner*innen unterstützt:

You are not alone NGO – Facebook
Sose Women’s Issues NGO – Facebook
Martuni Women’s Community Council – Facebook

Bergkarabach braucht internationale Aufmerksamkeit

So ist es neben Spenden für akute Nothilfe gerade jetzt auch wichtig, dass die Situation in Armenien international Aufmerksamkeit erfährt, die nicht in wenigen Wochen wieder verpufft. Als feministische Frauenstiftung unterstützt filia den Call to Action der armenischen Frauenstiftung. Wir setzen uns dafür ein, dass die Unterstützung für Frauen, Mädchen und queere Personen, die von der kriegerischen Eskalation betroffen sind, auch mittel- und langfristig im Blick der internationalen Geber*innengemeinschaft bleibt.

Gespräch zur Lage

Interview mit Gohar Shahnazaryanvon Women's Fund Armenia

Am 29. September 2023 sprach filias Programmleiterin Nina Hälker mit Gohar Shahnazaryan, der Direktorin des Women’s Funds Armenia über die historischen Wurzeln des Konflikts zwischen Aserbaidschan und Armenien, die aktuelle geopolitische Situation sowie die Blockade der letzten Monate und die Lage der Geflüchteten.