Stiftet nicht allein! Wie Stifter*innen Kräfte bündeln können.

In der Oktober-Ausgabe des Magazins SHE WORKS stellen Lizzy Wazinski und Constanze Claus die Arbeit von filia vor und teilen Erfahrungen im Umgang mit Stiftungen im Wachstum. Auch darauf, wie es filia gelungen ist, Kräfte zu bündeln und dem Gründungsmotto „Erst zusammen sind wir reich“ Rechnung zu tragen, gehen sie im Gespräch ein. Im Magazin SHE WORKS erscheint nur ein kleiner Ausschnitt des Interviews, den kompletten Inhalt gibt es hier zu lesen.

filia wurde bereits 2001 als Gemeinschaftsstiftung gegründet. Welche Ziele verfolgt die Stiftung?

filias Ziel ist Geschlechtergerechtigkeit. In Deutschland gibt es Gleichberechtigung zwar auf dem Papier, aber im Alltag sind wir noch weit davon entfernt. Auch Gewalt gegen Frauen ist ein großes Problem: Statistisch gesehen versucht jeden Tag ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag gelingt es ihm. In Mittel- und Osteuropa, filias Hauptförderregion, ist die Lage für Frauen und queere Personen noch bedrohlicher.

„In Mittel- und Osteuropa, filias Hauptförderregion, ist die Lage für Frauen und queere Personen noch bedrohlicher.“

Strikte Abtreibungsgesetze, konservative Rollenvorstellungen, Homophobie und Transphobie schränken die Freiheit von Frauen und queeren Menschen extrem ein. Mit der Förderung von Organisationen, die sich für die Freiheit von Gewalt einsetzen und die demokratische Strukturen verteidigen, unterstützt filia Frauen, Mädchen und LBTIQ+ vor allem in Mittel- und Osteuropa, aber auch in Deutschland und im Globalen Süden.

Welche Projekte unterstützt filia?

Wir wissen, dass starke, unabhängige Graswurzelorganisationen ein entscheidender Faktor für gesellschaftlichen Wandel sind. Wir fördern deshalb Organisationen, die mit ihren Aktivitäten an der Basis positive Veränderungen bewirken. Zum Beispiel: In Georgien fördern wir ein Projekt, in dem junge Frauen auf einer digitalen Plattform laut und selbstbewusst ihre Meinung äußern – auch wenn diese unbequem ist. Gleichzeitig bekommen sie Werkzeuge an die Hand, wie sie mit Hate Speech umgehen können. In Serbien unterstützen wir ein Projekt, in dem Jugendliche dafür sensibilisiert werden, dass Häusliche Gewalt nichts ist, was hingenommen werden muss. Sondern dass Täter zur Verantwortung gezogen werden können. Noch viel zu oft die Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung größer als die vor dem Täter. In Deutschland setzen wir uns z.B. dafür ein, dass geflüchtete Frauen sich gegenseitig empowern und vernetzen können. Wir fördern beispielsweise ein Projekt in Brandenburg, in dem Frauen gewaltvolle oder sexistische Strukturen in Erstaufnahemeinrichtungen dokumentieren und sichtbar machen.

„Wir wissen, dass starke, unabhängige Graswurzelorganisationen ein entscheidender Faktor für gesellschaftlichen Wandel sind.“

Das Modell einer Gemeinschaftsstiftung ermöglicht es, dass eine Stiftung wachsen kann und sich mehr Menschen beteiligen können. Wie hat sich filia seit der Gründung entwickelt? Und wohin soll es noch gehen?

Im Jahr 2001 wurde filia von neun Stifterinnen mit einem Vermögen von 250.000 Euro gegründet. Inzwischen zählt die Stiftung 77 Stifterinnen und hat ein Vermögen von ca. 16 Mio Euro. Und es soll noch weitergehen! Denn nicht nur die Gruppe der Stifterinnen ist gewachsen, sondern auch die Menge an Aktivitäten, die filia jährlich auf dem Plan hat. Dementsprechend hoch ist der Bedarf an finanziellen Mitteln. Ein Stiftungskapital von 16 Mio bildet eine solide Basis. Es reicht aber schon lange nicht mehr, um aus den Erträgen unsere Arbeit komplett zu finanzieren. Wenn wir unser Vermögen in den nächsten Jahren verdoppeln könnten, wäre das toll!

Inzwischen ist filia eine spendenorientierte Stiftung. Welche Vor- und Nachteile bringt dieses Modell mit sich?

filia hat eine verlässliche Community von Spender*innen. Viele von ihnen sind Frauen, die unsere Arbeit schon lange verfolgen und uns und unseren Partner*innen vertrauen. Das ist toll und wir sind sehr dankbar dafür. Aber wir wissen natürlich nicht, welche langfristigen finanziellen Auswirkungen die Krisen unserer Zeit mit sich bringen. Wir setzen daher nicht nur auf Spenden von Privatpersonen, sondern auch auf öffentliche Mittel. Wir beziehen einen Teil unserer finanziellen Mittel zum Beispiel durch Kooperationen mit dem Auswärtigen Amt. Das bedeutet zwar einen gewissen bürokratischen Aufwand, denn wir müssen natürlich sehr genau dokumentieren, wie wir diese öffentlichen Gelder verwenden. Gleichzeitig öffnet es uns Türen zu politischen Entscheidungsträger*innen – und das ist für unsere Arbeit fast genauso wichtig wie Geld. Wir sind nah dran an den Aktivist*innen in Osteuropa und können ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Lösungsansätze mit den Politiker*innen in Deutschland teilen. Für die praktische Umsetzung einer feministischen Außenpolitik sind wir ein wichtiges Bindeglied zwischen Politik und Zivilgesellschaft.

„Wir sind nah dran an den Aktivist*innen in Osteuropa…

Eine Stiftung zu gründen, klingt im ersten Moment nicht sehr aufwendig, allerdings steckt dahinter viel Arbeit. Wie haben Sie die Gründungsphase erlebt? Mit welchen Herausforderungen hatten Sie zu tun?

Abgesehen davon, dass das Gründungskapital gestemmt werden muss, ist es essentiell, dass die Stiftungssatzung professionell und mit Weitblick aufgesetzt wird. In der Satzung wird der Stifter*innen-Wille festgehalten – und daran lässt sich später nur mit großem Aufwand etwas ändern.

„filias Gründungsstifterinnen haben eine sehr kluge Satzung aufgestellt…“

filias Gründungsstifterinnen haben eine sehr kluge Satzung aufgestellt, die ihrer Stiftung einen klaren thematischen Fokus gibt, in der Umsetzung aber genügend Spielraum lässt. Zu Beginn wurde die Stiftung beispielsweise komplett ehrenamtlich geführt. Die Satzung lässt aber auch bezahlte Mitarbeiter*innen zu – was für die sich professionalisierende Strukturen unerlässlich war.

Eine Stiftung zu gründen, hat viel mit Idealismus zu tun. Inzwischen gleicht filia aber schon einem Wirtschaftsunternehmen. Wie gingen Sie mit dieser schleichenden Änderung um? Mussten Sie sich neue Kompetenzen aneignen, um die Stiftung weiter zu führen oder sind Sie gemeinsam mit der Stiftung und ihren Aufgaben gewachsen?

Gerade weil wir Idealist*innen sind, finden wir Professionalisierung wichtig! Wir als Geschäftsführungsteam, aber auch filias wichtigstes strategisches Gremium, der Stiftungsrat, haben eine genaues Auge darauf, ob unsere wirtschaftlichen Strategien zu unserer feministischen Mission passen. Wir investieren unser Vermögen so, dass es unseren Zielen zuträglich ist. Das schließt eine Menge Investments aus, die aus finanzieller Sicht vielleicht attraktiv wären, jedoch nicht mit unseren Werten übereinstimmen. Genauso schauen wir genau hin, wenn wir von Unternehmen angefragt werden, die mit uns kooperieren möchten.

„Gerade weil wir Idealist*innen sind, finden wir Professionalisierung wichtig!“

Unsere Kompetenzen mussten und müssen ständig wachsen. Wir haben große Freude daran, dazu zu lernen und unsere Expertise zu ergänzen. Bei wichtigen Entscheidungen arbeiten wir mit Expert*innen zusammen: Sowohl in Hinblick auf unsere Investments, für die wir unsere Vermögensberater*innen konsultieren, als auch in Hinblick auf aktuelle feministische Debatten, für die wir Trainer*innen anfragen.

In welchen Fällen macht es aus Ihrer Sicht Sinn eine eigene Stiftung zu gründen und wann sich eher schon in einer bestehenden Stiftung zu beteiligen?

Vermögende Menschen, die sich für gesellschaftliche oder ökologische Themen einsetzen möchten, sollten zuerst einmal prüfen, ob es für ihre Anliegen schon eine Infrastruktur gibt und ob sie dieser vertrauen. In vielen Fällen ist es sinnvoller, Kräfte zu bündeln, statt Einzelkämpfer*in zu sein. Deutschland hat mehr als 25.000 Stiftungen, die Themen sind breit gefächert. Es ist sehr wahrscheinlich, dort fündig zu werden.

„In vielen Fällen ist es sinnvoller, Kräfte zu bündeln, statt Einzelkämpfer*in zu sein.“

Oder geht es der vermögenden Person darum, sich selbst eine Stiftung zu schenken? Denn auch das kann ja ein Bedürfnis sein: eine Stiftung mit eigenem Namen zu gründen als etwas das bleibt. Dann ist eine bereits bestehende Stiftung, die den Namen ihres Gründers trägt, vielleicht kein Ort, an dem sich jemand emotional wohl fühlt. Hier waren filias Gründungsstifterinnen umsichtig: Sie wollten sich nicht selbst ein Namens-Denkmal setzen, sondern eine Tochter (lat. filia) ins Leben rufen und damit weitere Frauen einladen, Teil der Stiftung zu werden.

Was raten Sie Frauen, die den Schritt gehen und eine eigene Stiftung gründen möchten?

Was das herkömmliche Stiftungsmodell betrifft, das für die Ewigkeit errichtet wird: Davon würden wir abraten. Die Verpflichtung zum Erhalt des Grundstockvermögens kann lähmend sein, gerade für kleine Stiftungen. Wer heute eine Stiftung gründen möchte, sollte unserer Meinung nach das zeitgemäßere Modell der Verbrauchsstiftung wählen. Verbrauchsstiftungen werden für eine bestimmte Zeit errichtet und ihr Vermögen kann für die Zweckverfolgung aufgebraucht werden. Das macht die Stiftung auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten handlungsfähig.

„Außerdem: Stiftet nicht allein!“

Außerdem: Stiftet nicht allein. filias Gründerinnen haben sich damals das Motto „Erst zusammen sind wir reich“ gegeben. Das hat sich nicht nur in finanzieller Hinsicht bewahrheitet. Die Gemeinschaft der Stifterinnen ist eine von filias Stärken, die uns auch in herausfordernden Zeiten widerstandsfähig macht. Deshalb: Lieber zustiften als neu stiften.