INSHA berichtet: Ein Jahr Krieg

Vor einem Jahr hat Russland die Ukraine überfallen. Der Krieg hält bis heute an. Das mediale Interesse ist noch da, beschränkt sich aber auf die politisch-militärische Sphäre. Wie es den Menschen in der Ukraine oder auf der Flucht tatsächlich geht, darüber erfahren wir wenig. Ihr Alltag in zerbombten Städten oder ihre Probleme im Exil haben kaum Platz in der deutschen Öffentlichkeit.

Nicht so bei filia: Seit Beginn des Krieges haben wir regelmäßigen Kontakt zu unseren ukrainischen Partnerorganisationen, erfahren von ihnen, welche Projekte weiterlaufen, welche pausieren, wo ihre Mitarbeiter*innen sich aufhalten und welche Bedarfe die dringendsten sind. Ein dieser Organisationen ist INSHA, eine LGBTIQ+-Organisation mit Sitz in Cherson.

Wie konnte INSHA ihre Community unterstützen?

Mit der Leiterin Maryna stehen wir seitdem im engen Austausch. Sie selbst ist aufgrund des Krieges nach Deutschland geflohen, arbeitet aber aus dem Exil weiter und koordiniert die Aktivitäten in ihrer ukrainischen Heimat. Dank filias Förderung hat INSHA während der russischen Besetzung der Stadt knapp 350 Personen, Frauen und LGBTIQ+, aus Cherson evakuiert. Drei Menschen verhalf die Organisation sogar zur Flucht ins Ausland. Außerdem hat INSHA rund 600 Menschen humanitär unterstützt. Sie hat z. B. trans Personen mit Lebensmitteln versorgt. Diese haben sich während der Besetzung nicht mehr auf die Straße getraut, denn dort liefen sie Gefahr, kontrolliert zu werden und aufgrund ihres Geschlechtseintrags im Pass festgesetzt zu werden.

INSHA bietet außerdem psychologische Unterstützung für Aktivist*innen, Frauen und trans Personen, die aus der Stadt geflohen sind, an. Maryna berichtete uns, dass sie mittlerweile mit sechs Psycholog*innen zusammenzuarbeiten, die Expertise in der Arbeit mit Vergewaltigungsopfern und zu Krisenintervention mitbringen.

Besondere Projekte während des Kriegs

Zu Beginn des Krieges war es INSHA vor allem wichtig, Aktivist*innen in Cherson finanziell zu unterstützen: „Es ging erstmal darum, unseren Mitarbeiter*innen, die unter der Okkupation leben, eine Arbeit zu geben, ein Gehalt zu zahlen.“ Sie baten sie, ihren Alltag in der besetzten Stadt zu dokumentieren. Aus den Ergebnissen entsteht gerade eine Forschungsarbeit, die veröffentlicht werden soll.

Auch ein von INSHA initiiertes Fotoprojekt entstand während der russischen Besetzung Chersons (März bis November 2022): Es porträtiert die Hände der Frauen der Stadt. Diese Fotos sollen im Rahmen einer Ausstellung in der Ukraine gezeigt werden, vielleicht auch in Berlin.

Die Unterstützung INSHAs hat sich primär an die LGBTIQ+-Community gewendet. Bis zum Krieg betrieb INSHA in Cherson ein offenes Community-Center. Der Krieg veränderte die Situation vollständig: Zunächst war INSHA noch über ihre Webseite erreichbar, durch Strom- und Leitungsausfälle mussten Kommunikationskanäle flexibel genutzt werden. Aktivist*innen wendeten sich via Telefon oder per Internet an INSHA. Je nachdem, was gerade möglich war. Damit Hilfesuchenden tatsächlich auch Kontakt aufnehmen konnten, war es wichtig, die Community mit Powerbanks zu versorgen. Auch das organisierte INSHA.

Die meisten Mitarbeiter*innen von INSHA haben Cherson während des Kriegs verlassen, weil die Stadt extrem stark bombardiert wurde. Sie sind in die Umgebung oder weiter weg geflohen. Das macht die Arbeit im Team und die Unterstützung der Aktivist*innen vor Ort sehr herausfordernd. Denn die Situation in der Stadt ändert sich ständig. Es bleibt chaotisch. Auf die Frage, was Aktivist*innen im Moment am nötigsten brauchen, sagt Maryna: „Generatoren, Beleuchtung, Gaskocher. Und psychologische Hilfe. Es geht ums Überleben. Es gibt keinen Strom, kein Internet, keine Telefonverbindung – und damit keine Möglichkeiten, um Kontakt aufzunehmen. Das ist das größte Problem.“