Wenn auf einmal kein Tisch mehr da ist…

Wer sitzt eigentlich nicht mit am Tisch? Diese Frage tauchte das erste Mal bei der Abschlusskonferenz zu unserem Projekt „Shrinking Spaces – Zivilgesellschaft braucht sichere Räume zum Wachsen“ auf. Uns wurde klar, dass trotz bester Absichten bestimmte Gruppen in unseren Projekten selten eine Rolle gespielt hatten. Dazu gehörten zum Beispiel Trans-Frauen, Frauen mit Behinderungen, Frauen, die mit HIV leben, ehemalige Gefängnisinsassinnen. Unser Projekt „Feminist Landscapes – Zivilgesellschaftlicher Dialog mit allen Stimmen“ ändert das. Beteiligt sind die Frauenstiftungen aus Armenien, Georgien, Polen und der Ukraine. Im Rahmen des Projekts knüpfen sie Beziehungen zu Gruppen, die sie bisher noch nicht gefördert haben. Gemeinsam mit den Partnerorganisationen „mappen“ (vom englischen „to map“: kartieren) sie die Frauenbewegungen in ihren Ländern. Wer sitzt im Zentrum der Bewegungen? Wer wird an den Rand gedrängt? Im nächsten Schritt überlegen alle gemeinsam, wie sich marginalisierten Gruppen intergrieren können. Was können etablierte Frauenorganisationen tun, um ihren weniger priviligierten Schwestern Gehör zu verschaffen?

Ziel des Projekts ist es, die Frauenbewegungen in den teilnehmenden Ländern inklusiver zu machen. Die marginalisierte Gruppen stehen nicht mehr am Rand. Sie sind fest in den feministische Strukturen verankert und erfahren Solidarität für ihre Anliegen. Aber auch die „Mainstream“-Frauenbewegungen selbst profitieren davon, inklusiver zu werden. Sie können sich auf breitere Bündnisse stützen. Ihre Stimmen haben ebenfalls mehr Kraft und können von den politischen Entscheider*innen weniger ignoriert werden.

Zur großen Freude aller war nun eigentlich der Moment gekommen, an dem die jeweiligen Teilnehmer*innen in den vier teilnehmenden Ländern mit den koordinierenden Frauenstiftungen an einem Tisch zusammenkommen. Das gesammelte Wissen zu den verschiedenen Strömungen innerhalb der nationalen Frauenbwegungen sollte zusammengetragen werden. Das „Mappen“ hätte losgehen können. Jedoch…

Aber was passiert, wenn auf einmal kein Tisch mehr da ist?

Unsere ukrainische Partnerin in diesem Projekt, Ukrainian Women’s Fund, musste den geplanten Programmablauf stoppen. Die akute Not, in der sie sich selbst und alle ihrer nationalen Partnerinnen befinden, braucht ihre ganze Aufmerksamkeit. Das nationale Treffen, bei dem auch über die Gemeinsamkeiten zwischen den einzelnen Gruppen und über gegenseitige Unterstützung gesprochen werden sollte, konnte nicht stattfinden.
Mit ihren Partnerorganisationen, die sie im Rahmen von „Feminist Landscapes“ fördern, bleibt die ukrainische Frauenstiftung trotzdem in Kontakt. In erster Linie geht es ihr nun darum, humanitäre Nothilfe zu leisten. Zum Beispiel helfen sie einer Partnerorganisationen, einer Gruppe von Frauen mit Behinderung, bei der Flucht aus der Ukraine.

Trotz allem im Austausch

Aufgrund der enormen Anstrengungen können die ukrainischen Frauen aktuell an den Projektbesprechungen mit den anderen Frauenstiftungen nicht teilnehmen. Allerdings sind sie immer noch über digitale Treffen unseres gemeinsamen Frauenstiftungsnetzwerk Prospera mit den europäischen Frauenstiftungen in engem Austausch. Diese Treffen geben uns die Möglichkeit, konkret zu erfahren, welche Unterstützung die ukrainische Frauenstiftung für sich selbst und ihre Projektpartnerinnen braucht. Das erlaubt filia und den anderen europäischen Frauenstiftungen gezielt Hilfe zu leisten.

Das Auswärtige Amt fördert das Projekt „Feminist Landscapes – Zivilgesellschaftlicher Dialog mit allen Stimmen“.

Foto: Teilnehmer*innen auf der Abschlusskonferenz von „Shrinking Spaces“ in Berlin 2019.