Abschiede sind so eine Sache

Nach 13 bzw. 14 Jahren verlassen Sonja Schelper und Katrin Wolf filia und gehen in Rente. Ein Versuch, Tschüss zu sagen von Katrin Wolf:

 

Begegnungen mit Frauen* und Mädchen*

„Was nehmen wir mit aus dieser Zeit? Einen wertvollen Schatz an Erfahrungen und Erlebnissen, eine große Dankbarkeit für die Begegnungen mit all den Frauen* und Mädchen*, all den Menschen, denen wir während der Arbeit bei filia begegnen konnten: Mit Frauen*, die an der „Basis“ – also oft in kleineren Orten und an schwierigen Themen arbeitend – etwas in Bewegung setzen, mit Stifterinnen* und Förder*innen, die Geld und Impulse geben, um Frauen* und Mädchen* in ihrem Aktivismus zu unterstützen, mit den Kolleg*innen, die bei filia arbeiten oder sich ehrenamtlich die Abende um die Ohren schlagen, mit den Mädchenbeirätinnen*, mit den Kolleg*innen der Schwesterstiftungen überall auf der Welt – unsere engsten Verbündeten, oft konnten wir uns fast ohne Worte verständigen. Und so dankbar dafür, bei filia arbeitend ein Teil dieser Bewegung und dieser Gemeinschaft zu sein. Viele Geschichten und Gesichter werden uns im Gedächtnis bleiben.

Feministische Philanthropie

Ich bin hier in Hamburg – ostsozialisiert – wieder dem Wort Solidarität begegnet. Mit dem Konzept der feministischen Philanthropie wird an einer anderen Praxis des Gebens und der Zusammenarbeit mit Projektpartner*innen gearbeitet. Dieser Prozess ist schwierig, der Weg holprig, aber er ist in Gang gekommen.

Unser Ziel bei filia ist es, eine diverse und einschließende Gemeinschaft zu bilden, die immer die Bedarfe der Partnerinnen* im Blick hat. In Tschetschenien sieht die Situation für Frauen* und Mädchen* sehr anders als in Polen aus. Die engagierte Romafrau* in der Slowakei hat mit anderen Bedingungen als die lesbische Aktivistin* in Südafrika zu kämpfen. Und doch verbindet sie und uns alle etwas: Die feste Überzeugung, dass alle Frauen* und Mädchen* das Recht auf ein erfülltes Leben ohne Herabsetzung, Ausgrenzung und strukturelle Unterdrückung haben. Und dass es sich lohnt, sich dafür einzusetzen. Weil ohne Geschlechtergerechtigkeit alle verlieren.

Feminismus ist intersektionaler geworden

Auch der Feminismus hat sich in den zurückliegenden 14 Jahren verändert. Intersektionaler ist er geworden, mehr im sogenannten Mainstream angekommen, hat Themen laut und sichtbar gesetzt. Wo steht filia in all diesen Bewegungen und Strömungen? Ich bin gespannt, wie diese Tochter sich weiter entwickeln wird.

Für mich bedeutet Feminismus Selbstermächtigung. Das ist keine Ideologie, sondern ein offener Raum, der Mut macht, ein Angebot zum Eintreten, sich bewegen, sich begegnen und streiten – und Veränderungen anzuschieben. Die feministische Perspektive analysiert Macht- und Ohnmachtsstrukturen unter dem Aspekt von Geschlecht. Das hat mir geholfen zu verstehen, wer etwas davon hat, Zuschreibungen zu konstruieren und zu verfestigen – und für wen es Nachteile und Diskriminierungen bedeutet. Oft stolpert man selbst über die eigenen blinden Flecke und Vor-Urteile.

filia bietet Raum für Empowerment

filia ist für mich so ein Raum-Angebot gewesen. Was haben wir diskutiert, wie die Stiftung diverser, inklusiver und partizipativer werden kann. So schwingt auch Stolz auf Erreichtes mit. Immer wieder haben wir versucht, auf Veränderungen einzugehen, neue Quellen und neue Kooperationen zu erschließen. Konflikte zu managen, Durststrecken und Enttäuschungen zu überwinden, gehörte auch dazu.

Klingt da auch Trauer mit? Ja, klar. Etwas geht zu Ende. Mit der Reflexion dessen was war, kommt auch die Sorge, etwas zu verlieren. Und Erleichterung: Das war ein ganz schön hartes Stück Arbeit, oft unter großem Druck zu leisten. Jetzt erst einmal tief Luft holen. Und zusehen, wie wunderbare neue (und „alte“) Kolleg*innen mit frischem Elan und Ideen und Partner*innen neue Räume eröffnen. Das ist ein richtig gutes Gefühl.

Mein persönlicher Wunsch an filia

Ich wünsche mir, dass filia die Situation von Frauen* und Mädchen* in Mittel- und Osteuropa weiter besonders im Blick behält. In dieser ja sehr unterschiedlichen Region entscheidet sich Gegenwart und Zukunft von Europa, davon bin ich überzeugt. Im „Westen“ wird die Region oft nur für kurze Zeit wahrgenommen, wenn es Konflikte, Krieg oder Revolutionen gibt – quasi als Störfaktor. Mit filia kann frau einfach mal in Richtung Osten aufbrechen, tolle Menschen kennen lernen, den eigenen Horizont erweitern. Es sind unsere Nachbar*innen.

Tschüss, danke und bis zur nächsten Jahresversammlung 2022! Da wird filia erwachsen.