Wie gestalten wir inklusivere Frauenbewegungen?

Projekt „Feminist Landscapes“ ist abgeschlossen

Das Projekt „Feminist Landscapes: Zivilgesellschaftlicher Dialog mit allen Stimmen“ wurde Dezember 2022 abgeschlossen. Es setzte unsere Kooperation mit Schwesternstiftungen aus Mittel- und Osteuropa fort. Mit dabei waren FemFund Poland, Women’s Fund Armenia, Women’s Fund in Georgia und Ukrainian Women’s Fund. Es ist bereits unser drittes mehrjährige Projekt, das vom Auswärtigen Amt gefördert wurde. Im Laufe des Projekts haben wir uns vor allem mit der Frage beschäftigt, wie wir inklusivere Frauenbewegungen gestalten können. Wo gibt es Barrieren für marginalisierte Gruppen? Was können wir tun, um diese abzubauen?

Geförderte Frauenrechtsorganisationen

Die Frauenstiftungen in Armenien, Georgien, Polen und der Ukraine haben im Rahmen des Projekts mit 13 Frauenrechtsorganisationen zusammengearbeitet. Diese Organisationen mangelte es entweder an ausreichenden Ressourcen und Sichtbarkeit. Oder sie vertraten besonders vulnerable Gruppen. Die thematische Repräsentation verschiedener Belange war groß. So waren in Armenien z.B. die LGBT-Organisation Pink und Agate, eine Organisation für die Rechte von Menschen mit Behinderung, am Projekt beteiligt. In Polen war neben einer Initiative von Angehörigen behinderter Menschen die Organisation For the Earth beteiligt. For the Earth setzt sich für die Rechte von migrantischen und geflüchteten Menschen ein. In Georgien war z. B. eine Gruppe beteiligt, die sich dem Empowerment von Frauen mit Behinderung widmet. Darüber hinaus beteiligten sich Gruppen von lesbischen und von muslimischen Frauen. In der Ukraine waren u. a. Initiativen beteiligt, die Frauen mit HIV und Sexarbeiterinnen unterstützen.

Die Aktivitäten der beteiligten Graswurzelorganisationen waren so vielfältig wie ihre Zielgruppen: Eine Organisation in Armenien entwickelte ein Theaterstück. Der Fokus einer polnischen Organisation war die psychologische Begleitung und rechtliche Beratung von Angehörigen von Menschen mit Behinderung. Eine georgische Organisation initiierte ein „oral history“-Projekt, um den intergenerationalen Dialog zu fördern. Eine sehr junge Organisation in der Ukraine hat die Förderung dafür genutzt, ihre kollektive und institutionelle Resilienz zu stärken. Außerdem konnte sie durch die Teilnahme am Kooperationsprojekt ihre Beratungsangebote für HIV-positive Frauen ausbauen.

Gespräche über inklusivere Frauenbewegungen

In allen vier Ländern haben sich Aktivist*innen getroffen, um Fragen von Ausschlüssen und Zugangsbarrieren zu Ressourcen sowie fehlender Sichtbarkeit zu diskutieren. Es ergab sich, dass in jedem Land die Gespräche über inklusivere Frauenbewegungen sich auf unterschiedliche Punkte fokussierten.

Das Treffen von Aktivist*innen in Armenien verband den Austausch über Ein- und Ausschlüsse innerhalb der lokalen Frauenbewegungen mit einer Session zum Thema „Selfcare und Collective Care“. Die beteiligten Frauenrechtler*innen kamen auch auf den schwelenden Konflikt mit Aserbaidschan zu sprechen. Die wertschätzende Atmosphäre des Treffens ermöglichte einen intimen Austausch über Ängste und Befürchtungen. Das empfanden die Teilnehmer*innen als bestärkend und vereinend.

Die Austauschtreffen in Georgien bewirkten, dass sich Aktivist*innen mit sehr verschiedenen Hintergründen und Erfahrungen sowie aus sehr verschiedenen sozialen Bewegungen begegneten. Sie tauschten sich über ihre verschiedenen Perspektiven und die darin sichtbaren feministischen „Landschaften“ in Georgien aus. Ein Ergebnis war, intersektionale Perspektiven zu stärken. Das kann durch themenübergreifenden Austausch geschehen. Es kann auch durch besondere Berücksichtigung und Stärkung von bisher weniger unterstützten Gruppen, wie z.B. muslimische Frauen oder Frauen in ländlichen Regionen, realisiert werden. Auf diese Weise soll langfristig die Sichtbarkeit insbesondere von Frauen, die intersektional von Diskriminierung betroffen sind, erhöht werden.

Wenig Wissen über die Situation anderer vulnerablen Gruppen

Beim nationalen Treffen in Polen kam das Thema Inklusion sehr stark auf die Tagesordnung: Frauen mit Behinderung berichteten beim Treffen, welche Anforderungen sie für barrierearme Zugänge von Veranstaltungen sehen. Die Teilnehmenden diskutierten inklusive Sprache. Sie beleuchteten auch die Tatsache, dass nicht alle vulnerablen Gruppen eine stärkere Sichtbarkeit wünschen. Denn größere Sichtbarkeit kann zu einer erneuten Stigmatisierung führen, z.B. für Sexarbeiterinnen. In den Diskussionen wurde auch sichtbar, dass Aktivist*innen, die in ihrem eigenen Feld eine sehr hohe Expertise haben, häufig wenig Wissen über die Situation und Erfahrungen von Frauen mit anderen Diskriminierungserfahrungen haben.

Vor dem Hintergrund des andauernden Kriegs sprachen die Aktivist*innen beim Treffen der ukrainischen Partnerorganisationen über die Notwendigkeit für neue Handlungsansätze: Gerade der Umgang mit Krisen, die Stärkung von adaptiven Fähigkeiten und gezielte Trainings, z.B. zu Cyber Security, aber auch zu strategischer Planung und Fundraising sahen sie als essenziell an. Manche Aktivist*innen äußerten beim Austauschtreffen, dass Frauen, die intersektional diskriminiert werden, sich häufig in explizit als „feministisch“ bezeichneten Räumen unwohl fühlen. Sie berichteten von einem Mangel an themenübergreifender Solidarität. Was sie sich wünschten, seien Plattformen, die vertrauensbasiert und -stärkend sind. Diese führten zu einem Dialog unterschiedlicher vulnerabler Gruppen.

Internationale Webinare – geschützte und öffentlichkeitswirksame Diskussionen

Alle beteiligten Frauenstiftungen organisierten gemeinsam mit ihren Projektpartner*innen öffentliche Webinare. Diese Webinare griffen Themen der nationalen Treffen auf. Manche Webinare wurden aufgezeichnet, um sie auch im Nachhinein einer breiteren Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Andere Webinare fanden geschützt, nur mit Anmeldung statt, um Diskussionen zu ermöglichen, die einen vertrauten Rahmen bedurften.

Women's Fund Armenia

Von feministischer Theaterkunst zu Militarisierung und ihrer Folgen für Frauen

Die armenische Frauenstiftung hat zusammen mit ihren Förderpartner*innen Webinare mit folgenden Titel organisiert: „From exclusion to inclusion: how to communicate with people with disabilities” und „The role of the theatre in raising the issues of discrimination: feminist art”. In einem dritten Webinar präsentierten die Referent*innen drei Studien, deren Themen direkt an die Diskussion der komplexen „feministischen Landschaften“ in Armenien anknüpfen: der Einfluss der Revolution auf Frauenrechte, der Einfluss von Anti-Gender-Bewegungen in Armenien auf lokale Frauenbewegungen und die Rolle der „Women for Peace“-Initiative. Angesichts der unmittelbaren militärischen Bedrohung und der fortgeführten Angriffe durch Aserbaidschan fokussierte sich ein viertes Webinar auf Militarisierung und die Folgen für Frauen.

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FemFund Poland

Krisenfestigkeit und intersektionaler Feminismus

Die von der polnischen Frauenstiftung organisierten Webinare widmeten sich zwei Themen: „Feminism today? How the feminist movement can best respond to crises and work in the long term for a more just world” und “Feminism on intersections: mainstream hashtag or activist practice?” Während das erste Webinar sich explizit mit Erkenntnissen feministischer Basisbewegungen befasste, wurde im zweiten Webinar der Blick geöffnet in Richtung Zukunft: Wie kann eine intersektionale Perspektive in der Praxis aussehen?

femfund-webinar
Women's Fund in Georgia

Identitätsfragen und marginalisierte Stimmen

Die georgische Frauenstiftung hat in Zusammenarbeit mit ihren Projektpartner*innen zwei Webinare organisiert: das erste beschäftigte sich mit Identitätsfragen von Frauen in Georgien, bei dem Aktivist*innen aller vier geförderten Projekte aktiv beteiligt waren. Das zweite beschäftigte sich mit der Frage „Where are marginalized voices in mainstream feminist movement?“. Zu diesem Webinare waren neben Vertreter*innen der Partnerorganisationen auch eine Referentin zum Thema eingeladen worden.

int-webinar
Ukrainian Women's Fund

Inklusion, Diversität und Cybersicherheit

Die Webinare, die die ukrainische Frauenstiftung in Abstimmung mit ihren Förderpartner*innen organisiert hat, spiegelten ebenfalls die Themen der Partner*innen wider: Ein Webinar widmete sich den Bedarfen von Menschen mit Behinderungen in der Menschenrechtsarbeit. Ein weiteres beschäftigte die Frage, wie einfallsreich mit Diversitätsfragen umgegangen werden kann. In einem dritten Webinar wurde über Cybersicherheit diskutiert. Die Webinare wurden teilweise vorab aufgenommen, da in der Ukraine aufgrund des Kriegs die Internetverbindungen häufig gestört waren. Durch die Online-Bereitstellung vorab aufgezeichneter Diskussionen konnten Aktivist*innen in der Ukraine die Veranstaltungen nach Verfügbarkeit des Internets nachschauen und im weiteren Kreis teilen.

Was brauchen wir für inklusivere Frauenbewegungen?

Das Projekt hat sehr deutlich aufgezeigt, dass physische Orte fehlen, in denen sich Gruppen verschiedener Erfahrungen treffen können. Es fehlen oft die Räume, um sich miteinander zu vernetzen, um gemeinsam auf eine starke demokratische Zivilgesellschaft hinzuarbeiten. Die während des Projekts bereitgestellten physischen wie auch digitalen Räume haben das ein Stückweit geändert. Gruppen, die sich zuvor kaum kannten oder überhaupt nicht voneinander wussten, kamen zum Austausch zusammen. Sie besprachen gemeinsame Strategien und vereinbarten in Zukunft enger zusammen zu arbeiten. Eine Verständigung über die eigenen Themen hinaus ist wichtig und wertvoll. Diese Verständigung ist ein zentraler Baustein von inklusiveren Frauenbewegungen.

Lesen Sie einen Artikel von Lucy Martirosyan auf www.opendemocracy.net über unser Kooperationsprojekt!

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Das obige Video zeigt eine Podiumsdiskussion zum Abschluss des Projekts „Feminist Landscapes“. Im Rahmen ihrer FemTalks lud die armenische Frauenstiftung die Kooperationspartnerinnen zu einer gemeinsamen Veranstaltung ein. Über das Treffen im Oktober 2022 in Jerewan berichteten wir hier.