Erzählungen für die Vielfalt
Im Raum ist es still, ganz still. Nur ab und zu kratzt ein Bleistift auf dem Papier, klimpert eine Computertastatur. 20 Frauen sitzen an verschiedenen Tischen, eine jede tief über ihr Papier oder ihren Computer gebeugt. Sie alle schreiben an ihren Geschichten, an ihren Migrationsgeschichten. Die Frauen sind so vertieft in ihre Arbeit, dass die Werkstattleiterin sich mehrfach laut räuspern muss, bis auch die letzte der Schreibenden aus ihrem Flow erwacht.
Schreibwerkstätten für Frauen mit Migrationsgeschichte
Dreimal hat die Lüneburger Initiative für Vielfalt und Teilhabe im letzten Jahr eine Schreibwerkstatt von und für Frauen mit Migrationsgeschichte organisiert. Die Gruppe selbst besteht aus Frauen verschiedenen Alters und mit verschiedenen Migrationserfahrungen. Gastarbeiterkind, gerade angekommen oder vor 40 Jahren hergekommen. Das macht sie zu einer Gruppe mit vielen Perspektiven auf Migration und Flucht. „Uns ist eines wichtig: wir sind keine Hilfsorganisation,“ betonen Nuria und Pervin, „wir kommen zusammen, um zu arbeiten und uns zu empowern.“
Dabei hilft ihnen das Schreiben. Es gibt ihnen den Raum, ihre Erfahrungen zu reflektieren. Wenn sie ihre Geschichten dann miteinander teilen, dann wird ihnen oft bewusst, wie viele Gemeinsamkeiten sie haben. „Wir Älteren finden uns oft in den Geschichten der Jüngeren wieder. – Und die Jüngeren wiederum sagen oft, ´Was darüber denkt ihr auch immer noch nach?!` Es hilft beim gegenseitigen Verständnis,“ erzählt Pervin, „und es hilft uns, die Scham zu überwinden. Denn oft denken wir doch, wir sind die einzigen, die sich mit diesen Problemen rumschlagen.“
Ein Auftritt wird geplant
Der nächste Schritt ist, die Texte vor Publikum vorzutragen. Bei „Erzählungen für die Vielfalt“ bei den „Wochen gegen Rassismus“ in Lüneburg. Im letzten Jahr gaben die Frauen von LIVT noch fremde Texte zu Flucht und Migration bei dieser Veranstaltung zum Besten. In diesem Jahr werden es nun eigene Texte sein. Dabei ging es beim Schreiben in erster Linie nicht darum, perfekte Texte zu produzieren. „Eigentlich haben wir nur für uns geschrieben. Nicht für ein Publikum.“
Gut zu wissen!
Die Lüneburger Initiative für Vielfalt und Teilhabe (LIVT) gründete sich in Reaktion auf Diskussionen bezogen auf Partizipationsoptionen in Lüneburg. Es sollte ein Leitbild der Stadt erarbeitet. Dabei wurden Bevölkerungsgruppen
migrantischer Herkunft am Anfang überhaupt nicht angesprochen. Daran wollten die Aktivistinnen etwas ändern. Mit vielen Veranstaltungen und Auftritten in der Öffentlichkeit sorgt LIVT seitdem dafür, dass Frauen mit Migrations-geschichte sichtbar und hörbar in Lündeburg sind.
filia förderte LIVT im Rahmen des Empowerment-Programms Frauen* und Flucht.
Sichtbarkeit für die Vielfalt
Dass so viele Teilnehmerinnen gewillt sind, ihre Texte öffentlich vorzutragen, ist eine weitere Errungenschaft des letzten Jahres. Dafür hat die Gruppe auch Workshops organisiert, zum Beispiel einen zu Moderation. Wieder ging es darum, sich zu empowern. Sich zu empowern, bei einer Demonstration eine Ansprache zu halten. Sich zu empowern, eine Veranstaltung zu moderieren. Denn den Frauen ist Sichtbarkeit enorm wichtig. Sie wollen mit verschiedenen Gesichtern sichtbar sein und dadurch zeigen, wie vielfältig zum einen Migration und Flucht sind. Und zum anderen möchten sie zeigen, wie vielfältig ihre Heimatstadt Lüneburg ist.
Und der Erfolg gibt LIVT recht. Die Organisation hat sich erst 2021 gegründet. Nach etwas mehr als drei Jahren ist sie in Lüneburg gut vernetzt und wird für viele Kooperationen angefragt. „Selbst die Oberbürgermeisterin kennt uns schon,“ berichten die Aktivistinnen zum Schluss.
VERANSTALTUNGSTIPP: Erzählungen für die Vielfalt
Die Veranstaltung „Erzählungen für die Vielfalt“ findet am 22. März 2025 im Rahmen der Lüneburger Wochen gegen Rassismus statt.
Wichtige Informationen zur genauen Zeit und zum Ort der Veranstaltung finden Sie hier (LINK).
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