Was passiert, wenn wir mal nicht tun, was wir immer tun…
„Out beyond ideas of… wrongdoing and rightdoing… there is a field… I will meet you there.” Vierzig Fraustimmen schwellen an, werden lauter, selbstbewusster. Die Melodien des Kanons fließen ineinander, auseinander und finden – auf fast magische Weise – wieder zusammen. Am Ende des Liedes ist ein Strahlen im Raum, in den Gesichtern der Frauen, dem auch der Regen draußen nichts anzuhaben vermag.
Gemeinsam singen, schütteln und tanzen sich die Frauen ihre Sorgen und vor allem auch den Stress aus ihren Körpern. Bei ihrer Zusammenkunft stehen einmal nicht Strategie und Planung – kurz: die Arbeit – im Vordergrund, sondern ihre eigene Resilienz, ihr Wohlergehen. „Ihr entscheidet selbst, bei welchen Übungen ihr mitmachen möchtet, oder wann ihr mal eine Pause braucht,“ erklären Bua und Amaka zu Anfang. „Nehmt euch den Raum, den ihr braucht!“
Teigtaschen verschiedener Nationalitäten
Mit dieser Ermunterung startete das Internationale Treffen zur Resilienz von feministischen Aktivist*innen. 40 Aktivist*innen waren dafür vom 12. bis 15. November nach Warschau gereist. Es sollte ein so ganz anderes Treffen als die, die wir und auch unsere Partner*innen so gewöhnt waren, werden. Das wurde bereits am ersten Abend deutlich. Es wurde gemeinsam gekocht, und zwar Pierogi. Beziehungsweise Chinkali. Oder auch Boraki. Je nachdem, woher die Köchin stammt.
In den folgenden Tagen sprachen wir viel. Über all das Schwere in unserem Alltag. Die Hürden. Die Probleme. Aber auch über all das, was uns Freude bereitet. Bei der Arbeit und im Leben. Alle Gespräche und Übungen wurden von Bua und Amaka angeleitet. Sie machten uns unter anderem mit dem Burnout Wheel (deutsch: Das Rad des Ausgebrannt-Seins) vertraut. Es teilt sich in sechs verschiedene Faktoren, die unsere persönliche Resilienz entscheidend beeinflussen können. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Burnout Wheel hilft, sich der eigenen Schwachstellen bewusst zu werden. Zwar mag die Lösung momentan nicht greifbar sein. Aber alle waren sich einig, dass das Rad hilft, Überbelastung frühzeitig zu erkennen und dadurch handlungsfähiger zu sein. „Das machen wir auf jeden Fall mit den Kolleg*innen in der nächsten Teamsitzung,“ verkündete eine der deutschen Partner*innen.
Mit ihren Übungen halfen Amaka und Bua uns, uns auf unsere Körper zu besinnen. In ihrer Arbeit verfolgen die zwei einen somatischen Ansatz. Sie setzen dabei auf die Intelligenz unseres Körpers, um einen tiefen inneren Heilungsprozess zu unterstützen. Dauerhafter Stress schneidet uns von unseren Körpern ab. Singen, bewusstes Atmen, Lachen und auch Weinen können uns helfen, uns wieder zu spüren. Das mag unsere Probleme nicht direkt lösen. Doch es stärkt unsere Resilienz. Es macht uns widerstandsfähig und gibt uns die Kraft, Herausforderungen zu überwinden.
Stimmen zum Resilienz-Treffen
Dankbarkeit und Zuversicht waren schlussendlich die vorherrschenden Gefühle unseres Treffens. Eine Aktivistin brachte es für viele besonders stimmig auf den Punkt: „Hier bei euch wird meine Existenz nicht hinterfragt!“ Alle waren sich sicher, dass dieses Treffen noch lange in ihnen nachhallen würde. „Ich habe mir von so vielen Menschen so viele Tipps aufgeschrieben. Die werde ich alle mit unserem Team teilen“, resoniert eine der deutschen Partner*innen auf der Bahnfahrt zurück nach Hause. „Wir werden auf jeden Fall das Nein-Sagen mit unseren Kolleg*innen üben. Das ist so eine simple Übung, die aber so gut hilft, besser Grenzen setzen zu können,“ ergänzt eine andere. Die Rückmeldung einer armenischen Aktivistin, die uns einige Tage später per Mail erreichte, wollen wir hier stellvertretend teilen:
Vielen Dank für dieses so transformative und herzliche feministische Treffen. Die zwei Tage mit euch allen fühlten sich wie ein wahrer Safe Space an – voller Vertrauen, Authentizität und tiefer Verbundenheit. Ich habe die Fürsorge, die Achtsamkeit und die Kreativität, die ihr in jeden Moment an den Tag gelegt habt, sehr geschätzt. Die Übungen, Reflexionen und Gespräche haben nicht nur Heilung gebracht, sondern auch ein neues Gefühl von Sinn und Hoffnung, nicht nur für meinen Aktivismus, sondern auch für mein persönliches Leben. Ich habe mich gesehen und unterstützt gefühlt. Ich freue mich darauf, in Kontakt zu bleiben und hoffe, dass sich unsere Wege bald wieder kreuzen werden.
Abschluss des Projekts “Feminist Resilience“
Die Zusammenkunft markiert das Ende des Projekts „Feminist Resilience – Stärkung der Resilienz von Frauenrechtsorganisationen“. Dieses ist eine Kooperation von filia mit den Frauenstiftungen aus Armenien, Georgien und der Ukraine. Das Projekt startete 2022 und läuft zum 31. Dezember 2024 aus.
Während der drei Projektjahre erhielten die feministischen Organisationen flexible Förderungen, um die individuelle Resilienz ihrer Mitarbeiter*innen sowie ihre kollektive und institutionelle Resilienz zu stärken. In dem, was umgesetzt wurde, spiegeln sich die vielen Facetten von Resilienz wieder. Eine armenische Medienorganisation hat beispielsweise ein Sicherheitssystem für ihre Büroräume installiert. Eine Organisation aus der Donezk Region, die aktuell vor allem mit Internally Displaced People (deutsch: Binnenvertriebenen) arbeitet, nutzte die Förderung, um ihren Mitarbeiter*innen Verschnaufpausen zu ermöglichen. Von den Geldern wurde aber auch Büroausstattung angeschafft, Flyer gedruckt, Medienschulungen abgehalten und Strategiepapiere entwickelt.
Leseempfehlungen zu Resilienz von Amaka und Bua
- When the body says no, Gabor Mate
- Burnout: The Secret to Unlocking the Stress Cycle, Emily Nagoski
- Rest is Resistance, Tricia Hersey
- How do we keep going? Activist burnout and personal sustainability in social movements, Laurence Cox