„Lasst uns einander unsere Geschichten erzählen…“

…denn sie zu teilen, macht uns stärker als alle Strategien, die wir auf dem Papier haben.“

Feministische Bewegungen haben lange und traditionsreiche Geschichten. In vielen Ländern, in denen der Rechtsruck des letzten Jahrzehnts besonders spürbar ist, versuchen Rechtspopulisten und Anti-Feministen diese Geschichten unsichtbar zu machen. Damit versuchen sie, die Forderungen von Frauen und marginalisierten Gruppen nach gleichen Rechten zu schwächen.

Ein Beispiel dafür ist das ehemalige Jugoslawien und das unter anderem daraus hervorgegangene heutige Serbien: Schon in der Monarchie gab es dort Frauenzirkel, die die Situation der Frauen diskutierten und Rechte einforderten. Während des zweiten Weltkrieges waren viele Frauen im antifaschistischen Kampf organisiert. Nach 1945 kämpfte die feministische Bewegung für das Recht zu wählen, für besseres Wohnen und eine bessere Gesundheitsversorgung. 1978 fand in Belgrad die internationale Konferenz „Comrade Women: Women’s Question – A New Approach?” statt. Auf ihr diskutierten Feminist*innen von beiden Seiten des Eisernen Vorhangs über die „Frauenfrage“.

“In Jugoslawien war Feminismus Teil der Staatspolitik. Seit den 1990er Jahren ist es nun ein staatliches Projekt, genau diese Geschichte zu löschen,“ erzählen Djurdja Trajkovic und Galina Maksimovic bei ihrem Eröffnungsvortrag beim überregionalen Treffen der Initiative On the Right Track (siehe Kasten unten) in Belgrad. Die serbische Frauenstiftung Reconstruction Women’s Fund war Gastgeberin des Treffens. Djurdjas und Galinas Vortrag rührte viele der teilnehmenden Aktivist*innen. Sie alle kennen die Versuche der Rechten, feministische Geschichte und ihre Errungenschaften unsichtbar zu machen.

Zum Treffen in Belgrad

Vom 10. bis 14. März trafen sich mehr als 100 feministische Aktivist*innen aus über zwanzig Ländern. Sie kamen aus Bulgarien, Deutschland, Argentinien, Chile, Serbien, Georgien, Nicaragua und vielen Ländern mehr. Drei Tage lang bekamen diese Vertreter*innen lokaler Graswurzelorganisationen Raum, sich über ihre Arbeit auszutauschen und gemeinsam Strategien zu entwickeln. So entstanden länder-, ja sogar kontinentübergreifende Kollaborationen. Die Konferenz half, langfristig Strukturen zu etablieren, mit denen Werte wie Freiheit, Demokratie und Vielfalt vor Fundamentalismus und rechtsextremen Angriffen geschützt werden können.

Den ersten Tag nutzten alle, um sich kennen zu lernen. Ein Panel mit dem Titel „Context and Everyday Struggles in Latin America and Europe“ stimmte die Anwesenden ein, denn es erläuterte die unterschiedlichen Kontexte, in denen Menschenrechte durch Anti-Gender-Bewegungen in den vertretenden Ländern bedroht sind.

In den folgenden beiden Tagen sprachen die Teilnehmenden über ihre Arbeit und die bestehenden Herausforderungen. Viele der Aktivist*innen fühlten sich durch den persönlichen Austausch gestärkt. Das zeigt, warum es so wichtig ist, sich immer wieder persönlich zu treffen: Sitzen Personen zusammen an einem Tisch, können sie sich in die Augen schauen, formt sich eine Gemeinschaft. Unsere Gemeinschaft gibt uns Kraft, scheinbar unlösbare Probleme anzugehen und zu bewältigen. Vielen feministische Aktivist*innen, die in ihren Ländern oft isoliert und schikaniert werden, gibt diese Gemeinschaft wieder Kraft weiterzumachen.

Immer wieder Thema: Geld!

Ein sehr zentrales Thema war die prekäre finanzielle Absicherung vieler Gruppen. Deswegen war es gut, dass am Treffen auch Vertreter*innen großer Stiftungen teilnahmen. Als potentielle Geldgeber*innen bekamen sie so Einblick in die Arbeit und die Bedarfe der Frauenstiftungen und der feministischen Graswurzelorganisationen. Außerdem kam vielfach zur Sprache, dass viele Gruppen seit Jahren Arbeit machen, die eigentlich staatliche Aufgabe sein sollten, z. B. im Bereich Gewaltschutz, Rechtsberatung, der psychologischen Unterstützung von Gewaltopfern, u.v.m.. Besonders kritikwürdig ist, dass Regierungen nicht nur ihren Verpflichtungen gegenüber den Menschen in ihren Ländern nicht nachkommen, sondern die Organisationen, die diese Lücken zu schließen versuchen, kaum oder keine finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Oder um noch drastischer: Sie erschweren es den Organisationen sogar, ausreichend Geld einzuwerben, z.B. durch sogenannte Foreign-Agents-Gesetze, wie es gerade in Georgien umgesetzt wird.

Eine gemeinsame feministische Vision

Das Abschlusspanel widmete sich, angelehnt an Hannah Arendts „Amor Mundi“, der Liebe zur Welt. Wenn neoliberalen Politiken kein Einhalt geboten wird, verlieren wir demokratische Errungenschaften. Stattdessen brauchen wir eine starke gemeinsamen Vision, die von Neugier geleitet ist und sich der Basis besinnt: gleiche Rechte für alle. Denn die Feinde der Demokratie haben nicht nur Angst vor ihr, sondern sie wollen sie abschaffen.

On the Right Track auf einen Blick

Die Konferenz war Teil der Initiative On the Right Track, die 2019 von Frauenstiftungen des International Network of Women’s Funds, Prospera, gegründet wurde. 20 Frauenstiftungen sind an der Initiative beteiligt. Sie stützt sich auf vier zentrale Pfeiler:

  1. Forschung und Studien – z.B. zur Frage: Wer sind die Geldgeber von Anti-Gender-Bewegungen, Ultrarechten und Fundamentalisten?
  2. Öffentlichkeitsarbeit – zur Aufklärung über und Stärkung von demokratischen Grundwerten und Strukturen, um so auch Desinformation entgegenzuwirken
  3. Grantmaking – finanzielle Unterstützung für feministische Graswurzelinitiativen in Europa und Lateinamerika, die in diesem Feld arbeiten
  4. Austausch und Vernetzung – Dialogformate online und offline tragen zum Kennenlernen bei und öffnen Raum für Synergien für starke feministische Bewegungen

Hier geht es zur offiziellen Webseite von On the Right Track (Webseite ist auf Englisch)!
filia fördert im Rahmen von On the Right Track sechs Organisationen in Mittel- und Osteuropa (Link).