Care-Arbeit ist politisch

Weltweit liegt unbezahlte Care-Arbeit zum Großteil bei Frauen – denken wir an Kindererziehung, Pflege von Angehörigen oder Hausarbeit. Dass weibliche Care-Arbeit auch in revolutionären Kontexten eine bedeutende Rolle spielt, beschreibt die in Minsk geborene Autorin Olga Shparaga am Beispiel von Belarus.

Care-Arbeit wird zum politischen Programm

Als 2020 die Menschen in Belarus auf die Straße gingen, um gegen die Regierung zu demonstrieren, wurde Care-Arbeit politisch. Das revolutionäre Potenzial der  „Märsche der Frauen“, zu denen sich wöchentlich Tausende Frauen versammelten, wurde vom Regime anfangs unterschätzt. „Wenn alle Strukturen in Frage gestellt werden, so wie bei den Protesten im Sommer 2020, dann wird Care-Arbeit zum politischen Programm. Kochen, Kindererziehung und Protestieren sind miteinander verbunden.“, erklärt Olga Shparaga. Viele Frauen taten sich in ihrem politischen Aktivismus zusammen: Geht die eine demonstrieren, passt die andere auf die Kinder auf. Malt die eine Protestplakate, kümmert sich die andere um den Haushalt. „Menschenrechte: Der beste Freund der Frauen“, „House Wives Matter“ oder „Everything is political when you`re a women“ stand auf den Plakaten. Die Proteste schafften ein gesellschaftliches Bewusstsein für die Arbeit, die bis dahin unsichtbar geblieben war.

Fragiler Widerstand aus der Haft

Auch Frauen, die als politische Gefangene in Strafkolonien inhaftiert sind, leisten Widerstand und sorgen füreinander: durch ein Lächeln, durch gemeinsames Singen, auch durch Self-Care. „Du sollst eine graue Masse sein, du sollst nicht lächeln, denn wie viele Aufseher sagten, ‚im Gefängnis soll der Häftling leiden; es muss gehungert werden und es soll dort auch kalt und feucht sein, um zu leiden‘. Sehr oft hat das Lächeln der Frauen, vor allem der politischen Gefangenen, die Leute in [in den Gefängnissen] total irritiert.“, erzählt die Ex-Gefangene Wolha Klaskouskaja. Dass Frauen im Gefängnis besonders harten und entmenschlichenden Strafen ausgesetzt werden, erklärt Olga Shparaga mit einer gesellschaftlichen Zuschreibung: „Männer dürfen Verbrecher sein, Frauen nicht. Sie sollen rein und gut sein. Wenn Frauen dann doch zu „Verbrecherinnen“ werden, sollen sie härter bestraft werden.“ Gerade deshalb sei es ihnen immer wichtig gewesen, für sich selbst und ihre Mitgefangenen zu sorgen und nicht an den äußeren Bedingungen zu zerbrechen, erzählen Frauen über ihre Haft.

„Ich will eine Präsidentin“

Wie feministisch die Bewegung in Belarus ist, wird Olga Shparaga öfter gefragt. Die Masse, die 2020 gegen Präsident Lukaschenko auf die Straße ging, war sehr vielfältig. Unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen, Berufsgruppen, Nachbarschaften verbündeten sich, viele von ihnen Frauen. „Die Bewegung ist feministisch in einer sehr breiten Dimension: Es geht um die Emanzipation der Gesellschaft.“, sagt Olga Shparaga. Durch die Bewegung machte sich zum Beispiel die Vorstellung breit, dass eine Frau Präsidentin sein könnte. Die belarusische Künstlerin Marina Naprushkina hat dieser Vorstellung ein Gedicht gewidmet: Ich will eine Präsidentin.

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Das  komplette Gedicht „Ich will eine Präsidentin“ ist erschienen z.B. in FEMALE UTOPIAS.

Was können wir tun?

„Wir dürfen die Menschen in Belarus nicht vergessen.“, fordert Olga Shparaga. Ganz konkret macht Olga Spharaga auf eine Kampagne aufmerksam, mit der die für 11 Jahre zu Gefängnis verurteile Aktivistin Maria Kolesnikowa unterstützt wird. „Es ist wichtig, nach den politischen Gefangenen zu fragen. Das Regime möchte sie in den Strafkolonien verschwinden lassen. Deshalb müssen wir immer wieder öffentlich über sie sprechen und uns bei der Regierung und den belarusischen Botschaften nach ihnen erkundigen.“ Auf der Website der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte gibt es konkrete Vorschläge, wie Maria Kolesnikowa und anderen Gefangenen geholfen werden kann.

Über Olga Shparaga: Olga ist politische Aktivistin und Philosophin und gilt als Vordenkerin der Massenproteste in Belarus im Spätsommer 2020. Seit 2020 lebt sie im Exil und war und ist an Forschungsinstituten in Deutschland, Polen, Tschechien, den USA und Wien tätig. Seit 2022 ist Olga zudem im Stiftungsrat von filia.

Foto Olga Shparaga: Violetta Savchits