Feministisches Stiften – Diskussion beim Deutschen Stiftungstag in Leipzig

Nach zwei Jahren pandemiebedingter Pause fand Europas größter Stiftungskongress in diesem Jahr wieder in Präsenz statt. filia war als Veranstalterin einer Podiumsdiskussion zu feministischem Stiften in Leipzig dabei. Dass der Veranstaltungsraum, in dem Platz für 50 Personen gewesen wäre, aus allen Nähten platzte und Teilnehmer*innen die Veranstaltung von draußen verfolgt haben, ist ein unübersehbares Signal für die Bedeutung feministischer Ansätze.

Was heißt das eigentlich: Feministisches Stiften?

Was müssen Stifter*innen und Gebende beachten, wenn sie nach feministischen Prinzipien geben möchten? Lizzy Wazinski stellte filias Verständnis von feministischem Stiften vor.

Feministisches Stiften ist kein Akt von Wohltätigkeit oder Macht – es ist ein Akt der Solidarität und gegenseitiger Bestärkung.  Feministisches Stiften ist damit ein politischer Akt, der bestehende Auffassungen von Macht, Privilegien und Ressourcen in Frage stellt und verändert. Das heißt auch, das Stiftungskapital nach Ethik- und Nachhaltigkeitsstandards anzulegen, damit durch Geldanlagen globale Ungleichheiten nicht weiter verstärkt oder gestützt werden.

Feministische Konzepte setzen auf kollaboratives Arbeiten statt Konkurrenz. Erschreckend: Laut „Global Philanthropy Report“ arbeiten rund 80 Prozent der Stiftungen nicht mit anderen zusammen. Und vor allem arbeiten sie nicht mit den Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen zusammen. Feministisches Stiften fördert Bewegungen und enge Zusammenarbeit mit Bewegungen. Bei filia drückt sich das in unserem Motto aus Change not Charity: Stiften für soziale Gerechtigkeit. filia fördert Aktivist*innen, die für gesellschaftliche Veränderungen kämpfen.

Die Arbeit von Frauen- und Mädchenrechtsaktivistinnen und LGBTQI-Aktivist*innen ist riskant, ihre Arbeit ist außerdem extrem anstrengend und kräftezehrend. Und das heißt, Aktivitäten der Selbstfürsorge als förderwürdig anzusehen. Mit diesem Blick auf die Lebensverhältnisse von Aktivist*innen nimmt feministisches Stiften auch die organisationale und psychosoziale Resilienz ernst.  Das heißt, auch Projekte, die mit Regeneration, Self Care, Team Care oder dem Schaffen von Rückzugsorten zu tun haben sindförderwürdig.

Feministisches Stiften ist machtsensibel und wirft einen intersektionalen Blick auf Diskriminierung. Der Fokus liegt auf Frauen und Mädchen, die mehrfach diskriminiert und benachteiligt sind: wegen ihres Geschlechts, wegen ihrer race, ihrer class, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Körpers, ihrer Religion, ihres Alters. Feministisches Stiften denkt mit, dass verschiedene Formen der Ungleichheit oft zusammenwirken und sich gegenseitig verschärfen. Beim feministischen Stiften werden Machtgefälle analysiert und nach Formaten gesucht, mit denen Macht abgegeben oder geteilt werden kann.

Feministisches Stiften setzt eine Risikobereitschaft und Geduld voraus: Gefördert werden nicht nur etablierte Organisationen, sondern auch neu entstandene, junge Bewegungen. Sind oft sehr eng an den drängenden Problemen dran, haben aber vielleicht wenig Erfahrung mit den bürokratischen Anteilen der Förderung. Wenn wir feministisch stiften, setzen wir Geförderte nicht unter Zeitdruck. Die Dinge brauchen so lange, wie sie brauchen. Wir erkennen an, dass Ergebnisse im zivilgesellschaftlichen Sektor kaum messbar sind. Wir verlangen deswegen keine Ergebnisse nach ein paar Monaten oder Jahren.

Entscheiden sollen die Betroffenen – nicht die Stiftungsexpert*innen

Wie feministisches Stiften gelingen kann und welche guten Beispiele es bereits gibt, diskutierten Karin Heisecke, MaLisa Stiftung, Arn Sauer, Bundesstiftung Gleichstellung, und Lizzy Wazinski, filia, mit dem Publikum. Dass feministische Anliegen in der deutschen Stiftungslandschaft noch stark unterrepräsentiert sind, konnte  Karin Heisecke mit Zahlen vom Bundesverband belegen: die “Zahlen, Daten, Fakten zum deutschen Stiftungswesen” von 2021 zeigen, dass im Bereich “Gesellschaft” das Thema „Gleichberechtigung der Geschlechter” als Stiftungszweck auf dem viertletzten Platz rangiert – noch hinter „Tierzucht und Hundesport“.

„Was würden Sie tun, wenn Sie eine Million Euro hätten, die Sie feministisch stiften dürfen?“, fragte Moderatorin Steph Klinkenborg das Publikum. Die Antworten waren vielfältig und reichten von Aufklärungskampagnen bis zu konkreten Projektvorschlägen. Und doch waren sich am Ende alle einig: Im Sinne des feministischen Gebens sollten nicht die Stiftungsexpert*innen entscheiden, wohin Geld fließt und was damit verwirklich wird, sondern die betroffenen Frauen, Mädchen und LGBTIQ+ selbst.

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