Schnelle Hilfe gegen häusliche Gewalt in Coronazeiten – WAVE und filia

Gemeinsam mit dem Netzwerk Women Against Violence Europe WAVE reagierte filia auf die Pandemie und untersützte 20 Frauen*organisationen in Mittel- und Osteuropa schnell und unbürokratisch finanziell. Ein Rückblick.

Als im Frühjahr 2020 in vielen Ländern das öffentliche Leben hinter Plexiglasscheiben „verschwand“ und direkte Begegnungen immer schwieriger wurden, erreichte filia eine Anfrage, die für viele Frauen* in Not ein Fenster öffnen konnte: Das europäischen Netzwerke Women Against Violence Europe WAVE fragte bei filia an, ob wir kurzfristig ein gemeinsames Eil-Förderprogramm für von Häuslicher Gewalt betroffene Frauen* auf die Beine stellen würden. Gut 193.000 Euro standen zur Verfügung. Sie sollten so schnell wie möglich verteilt werden. Weil „Freiheit von Gewalt“ eines der Hauptanliegen filias ist, entwickelte das Projektmanagement einen Umsetzungsplan für das Programm. Schon Mitte Juni versendete filia die Ausschreibung an 67 WAVE-Mitglieder in 23 ost- und südosteuropäischen Ländern. Registrierte Frauen*organisationen konnten Mittel bis zu einer Höhe von 9.650 Euro als Krisenunterstützung beantragen. filia kommunizierte hierbei transparent, dass nur 20 Organisationen gefördert werden konnten. Organisationen mit einem kleinen Jahresbudget und wenigen finanziellen Reserven sollten bevorzugt werden.

33 Anträge erreichten uns. Wir waren beim Lesen jedes einzelnen Kurzberichts mehr als erschüttert, wie drastisch sich für viele Frauen* die Situation durch Covid 19 verschlechtert hatte und wie dringend der Unterstützungsbedarf war. Häusliche Gewalt betrifft Frauen* aus allen Schichten der Gesellschaft. Aber Frauen*, die wirtschaftlich unterprivilegiert sind, einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören, deren sexuelle Orientierung oder Identität offen angefeindet werden, die of Color sind, die mit einer Behinderung leben, die alt sind – um nur einige Beispiele zu nennen – leiden besonders. In den Anträgen kamen die Probleme aus all diesen Gruppen zur Sprache.

Frauen*, die mehrfachdiskriminiert sind, trifft die häusliche Gewalt besonders

Aus Griechenland schreibt das European Anti-Violence Network sinngemäß: „Schutzunterkünfte (Betten) für Frauen*, die mit ihren Kindern vor Häuslicher Gewalt fliehen müssen, sind für Frauen* mit Neugeborenen nicht geeignet. Üblicherweise haben wir sie in ein Hotelzimmer oder eine Wohnung eingemietet. Das war durch den Lockdown nicht möglich.“ Das „National Network to end Violence against Women“ aus Nordmazedonien berichtet, dass es mehr als 100 Frauen* in der Zeit von März bis Mai unterstützt hat. Es macht darauf aufmerksam, wie die an die Pandemie anschließend zu erwartende Finanzkrise die von Gewalt betroffenen Frauen* auf besondere Weise trifft. Man versucht dort durch Weiterbildung den Frauen*, eine Möglichkeit zu schaffen, wirtschaftlich unabhängig zu sein. Auch in Armenien (Sexual Assault Crisis Center) und Russland (Crisis Center for Women, St. Petersburg) werden die Gewalt-Überlebenden sowohl mit psychologischer Betreuung als auch mit Nahrungsmitteln und Grundversorgung unterstützt, denn viele von ihnen sind selbständig tätig und sehen sich und ihre Kinder in bedrohlicher Lage. Der Fund Sukhumi in Georgien hat durch eine Eilstudie erarbeitet, wie stark die Bedarfe von Gewaltopfern und Bedürftigen in der regionalen Konfliktzone während der Pandemie wachsen. Die bestehenden Restriktionen und Quarantäneverfügungen verstärken die bestehende Armut und steigern die Verletzbarkeit von Familien, in denen schon vorher ein gewaltbereites Klima bestand. Das Center for Legal Civic Initiatives in Albanien berichtet von einer Gesetzesänderung zum Umgang mit Gewalt in Familienbeziehungen. Vielfachkönnen Betroffene die sofortigen Schutzmaßnahmen jedoch nicht in Anspruch nehmen, weil sie nicht über die neuen gesetzlichen Möglichkeiten informiert sind. Das Center organisiert den rechtlichen Beistand über Online-Plattformen oder führt direkte Beratungen zu allen Covid 19-Schutzmaßnahmen durch.

9.650 Euro Wirksamkeit

Inzwischen sind die Berichte der geförderten Organisationen eingetroffen, und es ist auffallend, in wie vielfältiger Weise die Unterstützung für von Gewalt betroffenen Frauen* auch den Zeiten der Pandemie aufrechterhalten wurde. Auch wird deutlich, wie wichtig es war, dass die Frauen* jeder Organisation selbst definieren und entscheiden konnten, für welche Leistungen und Anschaffungen sie den Zuschuss benö-tigten – je nachdem, wo der größte Mangel an Mitteln zur Deckung der wichtigsten Bedürfnisse bestand.

Für einige der geförderten NGOs sind 9.650 Euro mehr als ihr Vorjahresbudget, für andere ist es ein Sechstel ihrer Budgets – aber die Dankbarkeit war überall groß. Für filia ist es eine wärmende Erkenntnis, dass unsere Erfahrungen und Expertise bei der Förderung kleinerer Grassroot-Frauenorganisationen geschätzt und genutzt werden. Wir freuen uns sehr über diese konstruktive und themenbezogene Zusammenarbeit mit den Kolleginnen* von WAVE, deren Netzwerk derzeit 161 Mitglieder (10 davon aus Deutschland) in 46 europäischen Ländern hat.